Warum ist mein Zug zu spät? Verspätungsgründe erklärt – Teil 1

Abfahrtstafel des Bahnhofs Dortmund Hbf mit verspäteten Zügen
Abfahrtstafel Dortmund Hbf mit verspäteten Zügen. Screenshot von www.bahnhof.de/dortmund-hbf/abfahrt am 08.01.2024 um 20:35 Uhr.

Einleitung

„Zugausfälle sowie Verspätungen können aufgrund der Komplexität des Eisenbahnbetriebes leider nicht immer vermieden werden.“ Solche oder ähnliche Worte liest man, wenn man eine Antwort des Servicecenter Fahrgastrechte erhält, nachdem man auf einer Reise im Zug eine Verspätung erlitten und die eigenen Fahrgastrechte geltend gemacht hat.

Und dort hat man gut zu tun. Die 5-Minuten-Pünktlichkeit von DB Fernverkehr ist zwischen Januar und November 2023 von wenig guten 73,2% auf katastrophale 52,0% gefallen. Im November 2023 stand also bei fast jedem zweiten Halt eines Fernzugs der DB Fernverkehr eine Verspätung von mehr als 5 Minuten und 59 Sekunden gegenüber dem Fahrplan auf der Uhr. Die Gründe hierfür sind vielfältig, zum Teil strukturell bedingt.

Wir möchten uns hier weniger um strukturelle Probleme oder den deutschen Fernverkehr kümmern, sondern die doch zahlreichen – aktuell 66 an der Zahl – zu lesenden und hörenden Gründe für Verspätungen im deutschen Eisenbahnverkehr entschlüsseln. Was steckt hinter diesen?

Wir nutzen hierfür die aktuelle, öffentliche Liste der sogenannten „RIS-Kundengründe“ (RIS = Reisenden-Informations-System) der DB InfraGo AG als größten, aber nicht einzigen Infrastrukturbetreiber in Deutschland.

Drei Dinge vorweg:

  •  Nein, niemand mag Verspätungen. Nicht die Reisenden, nicht die Eisenbahner:innen, nicht die Politik. Und kein:e Eisenbahner:in produziert absichtlich Verspätungen. Vor allem das Personal “vor Ort” kann am wenigsten etwas für Verspätungen und resultierenden, durchaus verständlichen Frust.
  •  Ja, Eisenbahnbetrieb ist komplex. Daher werden im Folgenden Vereinfachungen vorgenommen, um allgemein verständliche Erläuterungen zu erreichen. Unser Anspruch ist hier nicht, alle technischen und betrieblichen Einzelheiten wie im Lehrbuch bzw. Regelwerk abzubilden.
  • Der sicherste Zustand eines Zuges ist bis auf wenige Ausnahmen der Stillstand. Zudem gilt stets der Grundsatz: Sicherheit vor Pünktlichkeit.

Damit wollen wir in den ersten Teil der Verspätungsbegründungen einsteigen. Wir gehen hierbei die oben verlinkte Liste einfach von oben nach unten durch. 

keine Verspätungsbegründung

Unschön. Es gibt eine Verspätung, aber für die Kund:innen keinen nachvollziehbaren Grund. Bei Verspätungen bis fünf Minuten wird in den meisten Fällen keine Verspätung kommuniziert. Manchmal kam das zuständige Personal aber auch noch nicht dazu, einen entsprechenden Verspätungsgrund einzutragen, sodass dieser am Bahnsteig und in Euren Apps angezeigt wird.

nähere Informationen in Kürze

Dieser Grund wird genutzt, wenn eine größere Störungslage besteht und noch keine vollkommene Klarheit über Ursache, Betroffenheiten oder Auswirkungen herrscht. Das Personal dreht währenddessen nicht Däumchen, sondern sammelt und verarbeitet fieberhaft, um damit die Reisenden baldmöglich zu informieren.

Polizeieinsatz

Dies umfasst alles, bei dem die Polizei im Einsatz ist und deswegen Züge betroffen sind. Streitwütige Reisenden ohne gültigen Fahrschein im Zug, Vorfälle am Bahnsteig oder auch die Verfolgung von Flüchtenden über Bahngleise hinweg.

Feuerwehreinsatz auf der Strecke

Häufig verbirgt sich darunter das Löschen von Böschungsbränden. Diese entstehen vor allem in trockenen Sommern, wenn sich die Gräser und Büsche entlang der Gleise entzünden. Der Feuerwehreinsatz kann auch aufgrund eines Ereignisses außerhalb der Bahnanlagen notwendig sein, aber zur Sicherung der Einsatzkräfte oder auch des Bahnverkehrs selbst muss die Strecke gesperrt werden. Beispielsweise, weil der Löschangriff von der Bahnanlage notwendig ist oder die Gefahr besteht, dass Trümmer die Gleise erreichen oder ein Feuer über die Gleise übergreifen kann.

ärztliche Versorgung eines Fahrgastes

Ein Fahrgast im Zug benötigt eine dringende (not-) ärztliche Behandlung. Diese erfolgt sinnvollerweise im stehenden Zug. Bei akuten Fällen kann auch außerplanmäßig gehalten werden, um eine möglichst rasche Behandlung zu erzielen. 

unbefugtes Ziehen der Notbremse

Ja, es gibt Mitreisende, die “aus Spaß” die Notbremse ziehen. Damit ist nicht zu spaßen. Durch den Ruck beim Anlegen der Bremsen, das starke Verzögern und den erneuten Ruck beim Anhalten können Personen zu Fall kommen, die Treppen herabstürzen oder nicht ausreichend gesichertes Gepäck herunterfallen oder umherfliegen. Zusätzlich produziert das unbefugte Ziehen der Notbremse direkt ordentlich Verspätungen. Das Personal geht beim Auslösen der Notbremse zuerst von einem echten Notfall aus und begibt sich nach dem Anhalten auf die Ursachensuche. Stellt sich hierbei heraus, dass das Ziehen unbefugt und grundlos erfolgt war, so muss die Notbremse zurückgestellt werden, bevor eine Weiterfahrt möglich ist. Rechtliche Schritte gegenüber der Täterin bzw. des Täters sind eine weitere Folge (kann führen zu: “Polizeieinsatz”). 

unbefugte Personen auf der Strecke

Jemand hat bahnfremde Personen an oder auf den Gleisen gesichtet. Aus Sicherheitsgründen erfolgt eine Streckensperrung und ggf. das Befahren mit stark verminderter Geschwindigkeit. Auch die Bundespolizei kann aktiv werden und sogar mit dem Hubschrauber den betroffenen Bereich inspizieren. Wurden die Personen aufgegriffen oder nach einer langsamen Befahrung nicht mehr gesichtet, so wird der normale Betrieb wieder aufgenommen.

Notarzteinsatz auf der Strecke

Hierunter verbergen sich praktisch ausnahmslos Unfälle mit Personenschaden, es wurde also eine Person vom Zug erfasst und dabei tödlich verletzt. Das betroffene Zugpersonal wird in jedem Fall vor Ort abgelöst und auf Wunsch notfallseelsorgerisch versorgt – ebenso die Fahrgäste. Der betroffene Zug kann in den meisten Fällen nicht weiter mit Fahrgästen verkehren, sondern wird von Bereitschaftspersonal in ein Werk gefahren. Bis zum Abschluss der Unfallaufnahme und Bergung ist die betroffene Infrastruktur verständlicherweise vollständig gesperrt.

Streikauswirkungen

Durch einen Streik von Bahnpersonal wird ein Ersatz- oder Notfahrplan gefahren, da weniger Personal verfügbar ist. Streiks in fast allen Bereichen des Eisenbahnverkehrs können solche Auswirkungen nach sich ziehen, seien es Triebfahrzeugführende, Zugbegleitpersonal, Fahrdienstleiter:innen, Werkstattpersonal,…

Tiere auf der Strecke

Unsere Bahnstrecken sind im Regelfall nicht eingezäunt, sodass Tiere auf die Gleise gelangen können. Wird eine solche Gefahr gemeldet, kann eine niedrigere Geschwindigkeit angeordnet werden oder die Strecke wird vorsichtshalber gesperrt. Bei einer Kollision zwischen Tieren und Zügen sind die Leidtragenden auf jeden Fall die Tiere. Großtiere und Herden jedoch stellen auch eine reale Gefahr für die Sicherheit des Zuges und der Menschen an Bord dar, da Entgleisungen mit Verletzten und Toten zwar sehr selten sind, aber nicht ausgeschlossen werden können.

Unwetter

Dieser Grund versteht sich praktisch von selbst. Durch Unwetter sind Infrastruktur oder Züge in Mitleidenschaft gezogen worden oder es wird präventiv gehandelt, um Schäden zu verhindern. Unwetter können sich u.a. durch umgestürzte Bäume (siehe unten), überflutete Strecken, Wasser im Stellwerk oder Blitzeinschläge ins Stellwerk äußern. Bei Sturm kann die Geschwindigkeit von Zügen aus Sicherheitsgründen reduziert werden.

Warten auf ein verspätetes Schiff

Klingt kurios, aber im Verkehr von und zu den deutschen Nordseeinseln warten Züge auch mal auf ein verspätetes Schiff oder eine verspätete Fähre. Damit wird die Reisekette der Urlauber:innen auf der Rückreise gesichert.

Pass- und Zollkontrolle

Auch im Jahr 2024 werden zu ausgewählten Ländern trotz Schengen-Abkommens Grenzkontrollen durchgeführt. In vielen Fällen steigen bei der Einreise nach Deutschland Bundespolizist:innen am letzten ausländischen Bahnhof in den Zug ein, führen die Kontrolle im fahrenden Zug durch und steigen am nächsten Halt (oder einem Zusatzhalt) wieder aus. In einigen Fällen kann eine Kontrolle länger dauern, sodass der Zug anhalten und ggf. warten muss, bis die Kontrolle abgeschlossen ist.

technischer Defekt am Bahnhof

Alle Dinge, die an einem Bahnhof ausfallen können und direkte Auswirkungen auf die Züge haben. “Beliebt” ist ein Ausfall der Bahnsteigbeleuchtung. Um den Reisenden dennoch das sichere Ein- und Aussteigen zu ermöglichen, halten Züge in solchen Fällen länger, um mit dem Lichtschein aus den Fenstern den Bahnsteig notdürftig und rudimentär zu beleuchten.

Beeinträchtigung durch Vandalismus

Hierzu fällt uns nichts mehr ein… Einfach unverständlich.

Entschärfung einer Fliegerbombe

Dieser Grund ist praktisch selbsterklärend: Vor und während der Entschärfung einer gefundenen Fliegerbombe muss ein gewisser Radius um die Fundstelle aus Sicherheitsgründen evakuiert werden. Liegen Bahnhöfe oder Strecken innerhalb dieser Zone, so dürfen dort keine Züge verkehren. Betroffene Züge werden dann entweder umgeleitet, fallen teilweise aus oder warten die Sperrung ab.

Beschädigung einer Brücke

Eine Brücke ist beschädigt und kann nicht, nur langsam oder mit weniger Last befahren werden. In vielen Fällen sind solche Beschädigungen Folge einer Brückenanfahrt durch Straßenfahrzeuge, beispielsweise durch Nichtbeachten von Höhenbegrenzungen, nicht vollständig eingefahrenen Auslegern oder anderen Unfallfolgen wie einem Brand. Auch Unwetter können Brückenschäden hervorrufen. Zuletzt kann im Rahmen einer Inspektion ein (altersbedingter) Mangel festgestellt werden, der betriebliche Einschränkungen mit sich bringt.

umgestürzter Baum auf der Strecke

Ein Baum ist z.B. aufgrund von Unwetter oder Schneelast nicht standfest gewesen und auf die Strecke gestürzt. Im einfachsten Fall war es ein “Einzelumfall” und der Baum kann schnell entfernt werden, im schlechtesten Fall hat er dabei die Oberleitung getroffen und beschädigt oder es drohen weitere Bäume umzustürzen.

Unfall an einem Bahnübergang

Auch eher selbsterklärend: An einem Bahnübergang kam es zur Kollision zwischen Zug und Straßenverkehrsteilnehmenden – meistens Pkw oder Lkw. Während der Rettung, Unfallaufnahme und Bergung können keine Züge fahren. Zudem können Anlagen des Bahnübergangs zerstört worden sein, sodass dieser auf andere Art gesichert werden muss, was in vielen Fällen mit verlängerten Fahrzeiten einhergeht. Mit äußerst wenigen Ausnahmen sind die Straßenverkehrsteilnehmenden die Unfallverursachenden.

Warten auf Anschlussreisende

Es soll ein geplanter Anschluss trotz Verspätung des Zubringerzuges sichergestellt werden. Dies wird unter anderem dann gemacht, wenn es zahlreiche Umsteiger:innen mit demselben Ziel gibt oder der wartende Zug die letzte mögliche Verbindung des Tages zu diesem Ziel ist.

Witterungsbedingte Beeinträchtigungen

Hierunter wird alles verstanden, was durch das gerade herrschende Wetter verursacht wird, jedoch nicht die Kategorie “Unwetter” rechtfertigt. Im Herbst können Laub und Regen einen Schmierfilm auf den Schienen bilden, sodass längere Bremswege und langsameres Anfahren die Fahrzeit verlängern. Im Winter kann bei Eisregen die Oberleitung stellenweise einfrieren, sodass kein sicherer Kontakt zwischen dieser und dem Stromabnehmer möglich ist. Schäden an Oberleitung und Fahrzeug könnten die Folge sein.

Betriebsstabilisierung

Dies ist ein neuer Grund, der mit dem letzten Fahrplanwechsel im Dezember 2023 eingeführt wurde. Es wird vorrangig genutzt, wenn zur Verringerung der Verspätung die Halte eines Zuges teilweise ausfallen. Der Zug wendet dann z.B. vorzeitig, damit er zumindest für den verbleibenden Teil der Rückfahrt pünktlich ist, oder er lässt Zwischenhalte aus, um das Endziel oder einen wichtigen Knoten rechtzeitig zu erreichen. Solche Entscheidungen sind aus Sicht der direkt betroffenen Reisenden unbeliebt, gesamthaft betrachtet werden somit die Verspätungssummen reduziert.

Zwischenfazit

Damit haben wir die ersten 22 der insgesamt 66 aktuellen Verspätungsbegründungen hoffentlich verständlich erläutert. Weiter zu Teil 2 dieser Miniserie.

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