Pedestrians first: Warum der Fußverkehr zu stärken ist

Fußverkehr ist die nachhaltigste Fortbewegungsform. Bei zunehmender Ressourcenknappheit, sei es Energie oder Personal, wird der Fußverkehr künftig eine stärkere Rolle spielen. Dazu kommt, dass der Fußverkehr automatisch auch bei allen anderen Verkehrsarten, sofern man sein Auto nicht in der heimischen Garage stehen hat, Bestandteil einer Reisekette ist.

Ein Planungsprinzip aus den Niederlanden, unter anderem angewendet bei der Konzeption von Verkehrsstationen, stellt den Fußverkehr in den Mittelpunkt [1]. Es folgen Radverkehr, ÖPNV und der motorisierte Individualverkehr (MIV). In der Praxis bedeutet das beispielsweise, dass sich Fahrradstellplätze direkt am Bahnhofsausgang befinden, in räumlicher Entfernung danach folgen Haltestellen des ÖPNV und erst dann finden sich Parkplätze für den MIV. Im Fokus steht der Mensch, der sich behinderungsfrei im Bahnhofsumfeld bewegen kann und auch den Weg in die Innenstadt problemlos findet.

Fußgänger:innen im Mittelpunkt bei bei der Planung
Abbildung 1: Fußgänger:innen im Mittelpunkt bei bei der Planung

Einige Aspekte werden in den folgenden Abschnitten hervorgehoben.

Fußgänger:innen müssen sich jederzeit gut orientieren können.

Wegweisung und Umgebungskarte in der London Underground
Abbildung 2: Wegweisung und Umgebungskarte in der London Underground

Ein Beispiel für eine gute Fußverkehrswegweisung setzt London. Ein einheitliches Design begegnet den Reisenden bereits beim Ausstieg aus der Underground auf großen Tafeln an den Bahnsteigwändern. Unter den Bezeichnungen der Ausgänge finden sich die Namen erreichbarer Straßen oder Points of Interest. Ein großer Umgebungsplan erleichtert die Orientierung, die gerade bei Ankunft in unterirdischen Verkehrsstationen schwierig ist. Farbgebung und Design finden sich auch an der Oberfläche wieder: Informationsstelen und Wegweiser sind ähnlich aufgebaut, sodass ein hoher Wiedererkennungswert gegeben ist. 

Die Überarbeitung der Wegweisung geht auf das Projekt „Legible London“ zurück, das die Applied Information Group im Auftrag der Stadt London sowie der Verkehrsbetrieb TfL durchgeführt hat. Eigenen Angaben zufolge führte die Umsetzung zu 5 % mehr Fußverkehr, 60 % weniger Orientierungslosigkeit und 16 % Zeitersparnis bei Fußwegen [2].

Umgebungsplan an einer Bushaltestelle in Sölden (Österreich)
Abbildung 3: Umgebungsplan an einer Bushaltestelle in Sölden (Österreich)

Es muss nicht London sein: Auch kleinere Kommunen wie Sölden im österreichischen Ötztal haben ein Wegweisungskonzept umgesetzt. An Orten wie Bushaltestellen, Straßeneinmündungen oder zentralen Plätzen sind Tafeln angebracht, die einen Ortsplan, Liniennetzplan, eine Übersicht aller Straßen und Points of Interest enthalten. Für einen Ort, der vom Tourismus lebt, ist das eine sinnvolle Investition.

Bausteine zur Schaffung von Orientierung für Fußgänger:innen
Abbildung 4: Bausteine zur Schaffung von Orientierung für Fußgänger:innen

Wie in Abbildung 4 dargestellt, sollte Fußverkehrswegweisung konsistent sein. Der erste Kontakt mit der Wegweisung einer Kommune findet in der Regel an Verkehrsknotenpunkten wie Bahnhöfen, Haltestellen oder Parkplätzen statt. Hier muss eine rasche Orientierung mittels Umgebungsplan und einer Übersicht der wichtigsten erreichbaren Zielpunkte möglich sein. Das Design sollte sich auch auf Wegweisern im Straßenraum wiederfinden, damit diese schnell erkannt werden. An zentralen Orten sollten erneut Umgebungspläne angebracht sein, sodass Fußgänger:innen schnell erfassen können, wo sie sich befinden. Idealerweise fügt sich das gewählte Wegweisungsdesign in eine landesweite einheitliche Gestaltung der Mobilitätshubs ein. Getestet wird dies seit vergangenem Jahr an verschiedenen Pilotstandorten in den Niederlanden [3].

Printpläne (oder die digitale Variante als PDF) stellen Informationen auf einem begrenzten Raum dar, die vergleichsweise schnell erfasst werden können. Im Gegensatz dazu ist bei interaktiven Karten auf den ersten Blick kein Ende der Information ersichtlich, sodass sich der Betrachter zuerst in der interaktiven Karte zurechtfinden muss und im schlimmsten Fall sogar doppelt orientierungslos ist. Gleichzeitig bieten interaktive Anwendungen neue Möglichkeiten wie Verknüpfung mit Echtzeitinformationen, sodass sie ergänzend eingesetzt werden sollten.

Städte und Kommunen sollten Fußwegepläne herausgeben. Das sind Stadtpläne, die besonders für Fußgänger geeignete Routen hervorheben und auch Points of Interest bzw. Sehenswürdigkeiten enthalten. So kann der Fußverkehrsanteil insbesondere bei Besuchern gesteigert werden. Auch hier geht London mit einem Best Practice voran und bietet durch die Verkehrsbetriebe [4] und das gemeinnützige Unternehmen ‚Footways‘ [5] derartige Karten an.

Aber es kann auch jeder selbst. Verwendest du noch Google Maps zur Orientierung? Der Kartendienst ist auf das Auto ausgelegt. Viele Fußwege sind dort gar nicht eingezeichnet. Die Open Source App „Organic Maps“ [6] dagegen basiert auf OpenStreetMap. Neben dem Vorteil, dass dort weltweit fast jeder Pfad zu finden ist, kannst du auch Gebäude mit Hausnummern oder Höhenlinien für deine nächste Wanderung anzeigen lassen.

Fußgänger:innen müssen sich behinderungsfrei bewegen können.

Zugangshürden für den ÖPNV werden oft diskutiert, Straßenausbau ebenso. Über einen Ausbau von Fußwegen wird selten berichtet. Zugeparkte Gehwege werden hingenommen. Auch mit Werbung oder Außengastronomie zugestellte Fußgängerzonen behindern erstmal den Verkehrsfluss. Fußgänger:innen sind dort oftmals gezwungen, die Mischfläche in der Mitte der Fußgängerzone zu nutzen, wo sie sich aber nicht behinderungsfrei bewegen können, da sie dort auf Radfahrende oder Lieferverkehr achten müssen oder dies zumindest unterbewusst tun, was zu entsprechendem Stress führt (vgl. Abbildung 5). Im Sinne der Aufenthaltsqualität ist die gastronomische Nutzung prinzipiell positiv, dann sollten aber auch der MIV entsprechend eingeschränkt werden und attraktive Alternativrouten für den Radverkehr bestehen.

Blockierte Gehwege in einer von Liefer- und Radverkehr stark befahrenen Fußgängerzone in der Aachener Innenstadt
Abbildung 5: Blockierte Gehwege in einer von Liefer- und Radverkehr stark befahrenen Fußgängerzone in der Aachener Innenstadt

Lichtsignalanlagen an Kreuzungen sind ein weiteres Ärgernis, da sie in der Regel an den Verkehrsfluss der Kraftfahrzeuge angepasst sind. Die Rotphasen für Fußgänger oftmals zu lang, die Grünphasen für ältere Menschen (Stichwort demographischer Wandel) oftmals zu kurz. Besonders ärgerlich ist das Warten an Kreuzungen, an denen weit und breit kein Auto zu sehen ist. Warum eigentlich nicht das Prinzip umdrehen und Dauergrün für Fußgänger einführen? In Hamburg wurde dies im vergangenen Jahr pilotiert [7]. Gerade an Straßen mit geringem bis mittlerem Verkehrsaufkommen kann das eine Option zur Priorisierung des Fußverkehrs sein. Eine grüne Welle für den Kfz-Verkehr mit dem Ziel der Vermeidung vieler Anfahrvorgänge ist damit jedoch nicht vereinbar.

Als Fazit bleibt: Fußgänger:innen müssen gerne Fußgänger:innen sein. Jeder Weg beginnt mit einem Fußweg.

Übrigens: Zur Wegweisung speziell für den öffentlichen Personenverkehr wurde bereits ein Artikel veröffentlicht, den du hier findest: https://move-forward.eu/2021/12/15/beschilderung-und-fahrgastinformation/ 

Weitere Best Practices zeigen wir auf unserer Karte.

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Literatur

[1] Bureau Spoorbouwmeester: Het Stationsconcept. Online verfügbar unter https://www.spoorbeeld.nl/sites/default/files/2021-06/BSM-20120930-website%20beleid_het%20stationsconcept-DEF_1.pdf
[2] Applied Information Group: Legible London. Online verfügbar unter https://www.appliedinformation.group/projects/legible-london.
[3] Kiel, Jesse: ‘Nationale huisstijl’ moet mobiliteitshubs bekender maken. In: Stadszaken, 23.11.2022. Online verfügbar unter: https://stadszaken.nl/artikel/4752/nationale-huisstijl-moet-mobiliteitshubs-bekender-maken
[4] https://tfl.gov.uk/modes/walking/
[5] https://footways.london/ 
[6] https://organicmaps.app/de/ 
[7] Göres, Joachim: Dauergrün für Radler und Fußgänger. In: Süddeutsche Zeitung, 18.04.2023. Online verfügbar unter https://www.sueddeutsche.de/auto/verkehr-ampel-fussgaenger-unfall-1.5792114